Gläubiger stehen in der finanziellen Krise ihres Schuldners oftmals vor dem Problem, daß dieser dringend auf Warenlieferungen oder Dienstleistungen angewiesen ist, aber in erheblichem Umfang offene Forderungen noch nicht beglichen hat. Beliefern die Gläubiger ihren Schuldner nicht weiter, ist dessen Insolvenz unausweichlich, während sonst – zumindest möglicherweise – gute Chancen auf eine schnelle Überwindung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Das geltende Insolvenzrecht will Sanierungen im Insolvenzverfahren zwar begünstigen; eine erfolgreiche und schnelle außergerichtliche Sanierung ist dennoch im Regelfall erheblich billiger und unkomplizierter. Beteiligen sich Gläubiger an Sanierungsmaßnahmen, dann nicht uneigennützig, sondern in der Hoffnung, Forderungsausfälle nach Möglichkeit ganz abwenden und sich für die Zukunft einen treuen Kunden erhalten zu können. Ob dem Schuldner die Sanierung gelingt, ist aber ungewiß. Schwer einzuschätzen ist oftmals auch, wie sich andere Gläubiger verhalten, ob sie z.B. ihren Willen zur Mitwirkung an Sanierungsmaßnahmen nur vortäuschen, um für den Insolvenzfall ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.
In dieser Situation sind für die Gläubiger viele nur schwer erkennbare Fallstrickegespannt: Liefern die Gläubiger beispielsweise neue Ware nur gegen Begleichung oder Besicherung (eines Teils) der Altforderungen, laufen sie Gefahr, daß, wenn die Sanierung des Schuldners mißlingt, der Insolvenzverwalter des Schuldners diese Leistungen später mit Erfolg anficht. Die Gläubiger müssen dann nicht nur das erhaltene Geld oder die erhaltenen Sicherheiten an die Insolvenzmasse zurückgewähren, sondern erhalten auch auf die Forderungen aus den Neulieferungen nur die Insolvenzquote. – Sie haben schlechtem Geld gutes hinterhergeworfen. – Hätte der Schuldner hingegen statt auf die Altforderungen Zug um Zug gegen Warenlieferung die neuen Forderungen beglichen, wären diese Leistungen (mit hoher Wahrscheinlichkeit) als unanfechtbare Bargeschäfte (§ 142 InsO) zu qualifizieren.
Risiken bestehen für die Gläubiger auch sonst bei der Beitreibung von Altforderungen. Der Bundesgerichtshof benachteiligt Gläubiger, die bei der Zwangsvollstreckung kompromißbereit sind und sich zum Beispiel auf Ratenzahlungsvereinbarungen einlassen, geradezu exorbitant gegenüber solchen Gläubigern, die die Zwangsvollstreckung rigoros betreiben und jede Form von Mitwirkung des Schuldners schon präventiv unterbinden. Hat der bekannt zahlungsunfähige Schuldner nämlich den Erfolg der Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Gläubigers durch irgendeine Art von Kooperation begünstigt oder gefördert, qualifiziert der Bundesgerichtshof diese Mitwirkungshandlung des Schuldners als vorsätzliche Benachteiligung im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO. Der vollstreckende Gläubiger muß dann bis zu 10 Jahre lang mit der Anfechtung rechnen, während diese anderenfalls nur für 3 Monate drohen würde. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10.12.2009 (Az.: IX ZR 128/08 – Ratenzahlungsvereinbarung) und vom 3.2.2011 (Az.: IX ZR 213/09 – Auffüllen des Kassenbestands vor Erscheinen des Vollziehungsbeamten).
[Montag, 20. Juni 2011]
Ergänzung vom 7.11.11:
Zur Entscheidung des BGH vom 3.2.2011 sowie zur Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung im allgemeinen siehe jetzt auch meinen Aufsatz in Heft 20/2011 der Neuen Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung (NZI), Seite 798.