Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 27.10.2011 das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 17/7511) verabschiedet. Mit Ausnahme einiger Regelungen zur Insolvenzstatistik wird das Gesetz möglicherweise bereits am 01.04.2012 in Kraft treten.
Mit dem ESUG will der Gesetzgeber weitere Anreize für eine möglichst frühzeitige Insolvenzantragstellung schaffen. Dem liegt die Erwartung zugrunde, daß sich auf diese Weise die Zahl erfolgreicher Unternehmenssanierungen erhöht. Zu den neuen Anreizen gehört u.a. die Erleichterung der Voraussetzungen für Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung. Mit der in die Insolvenzordnung neu einzufügenden Vorschrift des § 270b sollen Schuldner ermuntert werden, bereits bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit selbst einen Insolvenzantrag zu stellen, um „unter der Sicherheit eines ‚Schutzschirms‘ in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan zu erarbeiten“ (Gesetzesbegründung). Gemäß dem künftigen § 270b InsO wird der Schuldner nach einem Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit drei Monate Zeit haben, einen aussichtsreichen Sanierungsplan zu vorzulegen. Für diese Zeit wird vom Insolvenzgericht ein sog. vorläufiger Sachwalter bestellt, den der Schuldner allerdings selbst vorschlagen darf und den das Insolvenzgericht auch bestellen muß, wenn die vorgeschlagene Person nicht fachlich ungeeignet ist.
Ein rechtzeitiger Insolvenzantrag befreit den Geschäftsführer einer GmbH (bzw. allgemein den Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft, die keine unbeschränkt haftende natürliche Person als Gesellschafter hat) von dem Risiko, zivil- und strafrechtlich wegen Insolvenzverschleppung belangt zu werden. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit von der Möglichkeit des „Sanierungsverfahrens in Eigenverwaltung“ Gebrauch zu machen, mag deshalb künftig in vielen Fällen dringend zu empfehlen sein.
Das Problem ist nur, daß der Gesetzgeber das Dilemma verkennt, in dem sich gerade Gesellschafter-Geschäftsführer in der Unternehmenskrise befinden und das ein wesentlicher Grund dafür ist, daß Insolvenzanträge nicht rechtzeitig gestellt werden. Dieses Dilemma hat er jüngst sogar nochmals deutlich verschärft: Wird über das Vermögen einer GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet, verlieren die Gesellschafter regelmäßig alles, was sie der Gesellschaft an finanziellen Mitteln zur Verfügung gestellt haben oder gegen Sicherheiten von Dritten haben zur Verfügung stellen lassen: Die Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen oder gesellschafterbesicherten Drittdarlehen können sie selbst durch eine besonders frühzeitige Insolvenzantragstellung nicht verhindern. – Weil die Gesellschafter über die Stammeinlagen hinaus regelmäßig in großem Umfang Bürgschaften zugunsten von Kreditgebern übernommen haben, bedeutet ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH sehr häufig auch ihren privaten Ruin. Also versuchen sie bis zum letzten, das Unternehmen noch irgendwie zu retten, obwohl die Mittel hierzu fehlen.
Das Dilemma sollten die Mitglieder von Bundestag und Bundesregierung nachvollziehen können, wenn sie betrachten, welches Verhalten sie selbst in der Staatsschuldenkrise (und im übrigen auch bei der "Rettung" tatsächlich oder vermeintlich "systemrelevanter" Unternehmen) empfehlen. Es ist der Vorwurf vielleicht nicht unbegründet, daß sie exakt das Verhalten propagieren, für das sie Geschäftsführer und Kreditgeber notleidender privater Kapitalgesellschaften in entsprechenden privatwirtschaftlichen Fällen jahrelang eingesperrt sehen wollen: vorsätzliche Insolvenzverschleppung und Beihilfe dazu.
[Donnerstag, 24. November 2011]
Ergänzung vom 02.01.2012:
Das ESUG ist am 25.11.2011 auch vom Bundesrat gebilligt worden. In seinen wesentlichen Teilen wird es am 01.03.2012 in Kraft treten.