Neues BGH-Urteil zur Vorsatzanfechtung bei inkongruenten Deckungen

In dem dem BGH-Urteil vom 18.1.2024, Az. IX ZR 6/22, zugrundeliegenden Fall hatte eine Bank ihrem drohend zahlungsunfähigen Kunden bestehende Betriebsmittelkredite gegen Gewährung neuer Sicherheiten prolongiert. Später wurde über das Vermögen des Kunden das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter focht die Bestellung der Sicherheiten als vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 InsO an.

In erster und zweiter Instanz hatte er keinen Erfolg. Der BGH hingegen hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück ans Berufungsgericht.

Unter Bezugnahme auf das auch hier besprochene Urteil des BGH vom 6.5.2021, Az. IX ZR 72/20, hatte das Berufungsgericht einen Benachteiligungsvorsatz auf Seiten des Bankkunden mit der Begründung verneint, der Insolvenzverwalter habe nicht bewiesen, daß der Bankkunde die Nachbesicherung in der sicheren Erwartung seiner Zahlungsunfähigkeit vorgenommen hatte.

Ausgehend hiervon stellt der BGH unter Rz. 17 des Urteils klar, daß die mit dem Urteil vom 6.5.2021 begründete neue Rechtsprechung nur kongruente Deckungen betreffe, nicht hingegen inkongruente.

Kongruente Deckungen sind Befriedigungen oder Sicherungen, auf die der Empfänger in der Art und auch zu dem Zeitpunkt der Leistung einen Anspruch hatte. Inkongruent ist demgegenüber „eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“, § 131 InsO.

Erbringe der Schuldner eine kongruente Deckung, könne allein aus einer ihm drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht auf auf einen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden. Nach der mit Urteil vom 6.5.2021 begründeten neuen Rechtsprechung setze der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners bei „einer kongruenten Deckung […] im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können“ (Rn 17 des Urteils).

Im Falle inkongruenter Deckungen hingegen sei das anders zu beurteilen: „Die Gewährung einer inkongruenten Deckung beeinträchtigt die prinzipiell gleichen Befriedigungschancen, weil der Gläubiger kein Recht hat, diese Leistung zu fordern. Gerade das Recht des Gläubigers, die Leistung zu fordern unterscheidet kongruente und inkongruente Rechtshandlungen […]. Daher ist die Gewährung einer inkongruenten Deckung in der Regel ein starkes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners, wenn Anlass bestand, an der Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu zweifeln“. (Rn 18).

Im vorliegenden Fall habe eine inkongruente Deckung vorgelegen, weil der Bank die Sicherheiten nicht gegen Gewährung eines neuen Kredits, sondern zur Nachbesicherung eines Altkredits erhalten hatte.

Aufgrund dieser Indizien treffe die Bank die Obliegenheit, den Gegenbeweis von Tatsachen zu führen, die den Schluß rechtfertigen, daß der Kunde nicht mit Benachteiligungsvorsatz handelte. In dem Zusammenhang konzediert der BGH, daß der Schluß auf einen Benachteiligungsvorsatz auch bei Gewährung einer inkongruenten Deckung ausgeschlossen sein könne, „wenn die Umstände des Einzelfalls ergeben, dass die angefochtene Rechtshandlung von einem anderen, anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet war und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger infolgedessen in den Hintergrund getreten ist“. Das könne insbesondere dann der Fall sein, wenn die „angefochtene Rechtshandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Sanierungskonzept stand, das mindestens in den Anfängen schon in der Tat umgesetzt war und die ernsthafte Aussicht auf Erfolg begründete“ (Rn 23).

Die Erfolgsaussichten des Sanierungskonzepts verneinte der BGH im entschiedenen Fall jedoch mit verschiedenen Erwägungen. Ein Benachteiligungsvorsatz bei Vornahme der Nachbesicherungen sei daher zu bejahen.

Eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung setzt jedoch nicht lediglich den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, sondern auch die Kenntnis des anderen Teils von diesem Benachteiligungsvorsatz voraus. Nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO wird diese Kenntnis allerdings vermutet, „wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte“.

Die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO bejahte der BGH: Von der drohenden Zahlungsunfähigkeit habe die Bank Kenntnis gehabt. Ihre Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz sei daher zu vermuten. Deshalb habe sie den Beweis des Gegenteils zu führen, also zu beweisen, daß sie keine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz ihres Kunden hatte.

Zu den Anforderungen an den Beweis des Gegenteils führt der BGH unter Rn 37 des Urteils aus: „Zur Widerlegung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO genügt es, wenn der Anfechtungsgegner konkrete Umstände darlegt und beweist, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der (hier unterstellte) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben war […]. Hierbei darf sich der Anfechtungsgegner grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters verlassen, solange er keine (erheblichen) Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat […]. Beruht die Insolvenz des Schuldners nicht lediglich auf dem Ausfall berechtigter Forderungen, sondern - wie im Regelfall und so auch hier - vor allem auf dem dauerhaft unwirtschaftlichen Betrieb des Unternehmens, kann ein Gläubiger von einem erfolgversprechenden Sanierungskonzept nur ausgehen, wenn vom Schuldner oder dessen Beratern zumindest die Grundlagen einer weitergehenden Sanierung schlüssig dargelegt wurden“.

Hieran bestünden aber schon deshalb Zweifel, weil die Bank die Kredite nur für einen kürzeren Zeitraum prolongiert hatte, als in einem vom Kunden eingeholten Sanierungsgutachten für erforderlich erklärt worden war: „Ist der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nur zu einer kürzeren als der von ihm nach dem Sanierungsgutachten geforderten Prolongation der gewährten Darlehen bereit, kann dies Zweifel am Vertrauen auf einen ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungsversuch begründen“ (Leitsatz zum Urteil).

Ich halte das Urteil für inkonsequent. Auch der Empfänger einer inkongruenten Deckung soll nämlich nach der vom Gesetzgeber in § 131 InsO bestimmten kurzen Anfechtungsfrist „das Risiko, dass er die empfangene Leistung zur Insolvenzmasse zurückgewähren muss, […] im Grundsatz nur dann tragen, wenn das Insolvenzverfahren innerhalb einer begrenzten Zeit nach Erhalt der Leistung eröffnet wird“ (Formulierung aus BGH, Urteil vom 6.5.2021, Az. IX ZR 72/20, Rn 33). Auch für die Anfechtung inkongruenter Deckungen ist in § 131 InsO eine Anfechtungsfrist von maximal drei Monaten bestimmt.

Warum es deshalb in dem am 18.1.2024 entschiedenen Fall für den Benachteiligungsvorsatz des Bankkunden nicht zusätzlich darauf ankam, „ob er wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine anderen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können“, wie der BGH das nach seinem Urteil vom 6.5.2021 im Falle von kongruenten Deckungen verlangt, ist mir nicht einsichtig.

[Montag, 24.6.2024]