BGH: Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung weiter erhöht

Mit zwei am 18.4.2024 ergangenen Urteilen (IX ZR 129/22 und IX ZR 239/22) hat der Bundesgerichtshof seine mit Urteil vom 6.5.2021 (IX ZR 72/20) begründete neue und weniger anfechtungsfreundliche Rechtsprechungslinie zur Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) fortsetzt. Die Urteile sind für (mögliche) Anfechtungsgegner von erheblicher Bedeutung.

In seinem Urteil vom 6.5.2021 hatte der BGH unter Rn 33 festgehalten:

„Der Schluss von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung führt im Falle der Gewährung kongruenter Deckungen zu einem weitgehenden Gleichlauf mit den Voraussetzungen der Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO und damit faktisch zu einer Verlängerung des nach dieser Vorschrift maßgeblichen Anfechtungszeitraums von drei Monaten auf zehn Jahre nach altem Recht (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO aF) und auf vier Jahre nach neuem Recht (§ 133 Abs. 1 Satz1, Abs. 2 InsO). Das stößt nicht nur auf gesetzessystematische Bedenken. Auch ein entsprechender Wille des Gesetzgebers erscheint zweifelhaft.“

Der Schluß von einer erkannten Zahlungsunfähigkeit auf einen Benachteiligungsvorsatz seines Schuldners könne ausnahmsweise jedoch dann gezogen werden, wenn diese besonders ausgeprägt war. Unter Rn 46 des Urteils vom 6.5.2021 führte der BGH aus:

„Ist der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig, kommt es zusätzlich darauf an, ob er wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine anderen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die im Moment der angefochtenen Rechtshandlung bestehende Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen des Schuldners und seinen Verbindlichkeiten. Hatte die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15, WM 2017, 2322 Rn. 19) erwarten ließ, musste dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen konnte, ohne andere zu benachteiligen. Befriedigt er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handelt er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.“

Insolvenzverwalter legen das Urteil dahin aus, daß sich an der früheren Rechtsprechung praktisch nichts geändert habe. Zahlungsverzögerungen über einen längeren Zeitraum hinweg belegten, daß mit einer vollständigen Befriedigung der Gläubiger in absehbarer Zeit nicht habe gerechnet werden können.

BGH-Urteil vom 18.4.2024, IX ZR 239/22

Diese Auslegung hat jedenfalls nach dem zu Az. IX ZR 239/22 ergangenen Urteil des BGH vom 18.4.2024 keine Grundlage mehr:

In diesem Urteil äußert sich der BGH insbesondere zu den Anforderungen an eine (erkannte) Deckungslücke, aus der auf einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen werden kann. Er stellt klar, daß die Feststellung einer erkannten Zahlungseinstellung nur im Ausnahmefall ausreicht. Unter Rz. 22 führt er aus:

"Dazu [also zur Feststellung einer für den Schluß auf den Benachteiligungsvorsatz ausreichenden Deckungslücke] müssen die Verbindlichkeiten nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung so beschaffen sein, dass aus der Sicht ex ante für jeden objektiven Betrachter in der Position des Schuldners selbst bei optimistischer Betrachtung unzweifelhaft klar sein muss, diese würden nicht mehr vollständig befriedigt. Das kommt etwa Betracht, wenn es sich um Verbindlichkeiten handelt, welche die erwartbare Schuldendeckungsfähigkeit des Schuldners offensichtlich bei weitem übersteigen. In diesem Sinne sind die Ausführungen des Senats mit Urteil vom 28. April 2022 (IX ZR 48/21, ZInsO 2022, 1498 Rn. 41) zu verstehen.“

Unter Rz. 24 hält der BGH fest, daß bei der Frage, ob jedenfalls bei optimistischer Erwartung der künftigen Entwicklung mit einer vollständigen Begleichung der Verbindlichkeiten zu rechnen war, auch zu berücksichtigen ist, „dass insbesondere Gläubiger hoher Forderungen nicht selten zu Zugeständnissen (Stundungen, Ratenzahlungsvereinbarungen, Teilerlasse) bereit sind, um jedenfalls eine teilweise Realisierung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu erreichen“.

BGH-Urteil vom 18.4.2024, IX ZR 129/22

Das BGH-Urteil zu Az. IX ZR 129/22 betrifft in erster Linie die Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters und die Anforderungen an das wirksame Bestreiten einer Zahlungsunfähigkeit durch den Anfechtungsgegner. In dem Fall hatte der Insolvenzverwalter zur Darlegung der behaupteten Zahlungsunfähigkeit einen Liquiditätsstatus vorgelegt, in dem jedoch „ohne weitere Differenzierung Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung, Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuer und kurzfristige Verbindlichkeiten sowie als Passiva II innerhalb der folgenden 21 Tage fällig werdende Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung“ ausgewiesen worden seien. Der BGH hielt dagegen das einfache Bestreiten der Zahlungsunfähigkeit durch den Anfechtungsgegner für zulässig. Unter Rz 31 des Urteils führt er aus:

„Es [das Berufungsgericht] hat sich nicht mit dem Ausmaß der konkreten Deckungslücke und den Umständen, welche die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin begründeten, befasst. Die Darlegungs- und Beweislast für die Deckungslücke und den Umstand, dass die erwartbare Entwicklung der Vermögenslage keine vollständige Befriedigung erwarten ließ, trägt der Insolvenzverwalter (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn 48; vom 18. April 2024 - IX ZR 239/22, zVb Rn 24).“

Nach meiner Einschätzung haben sich dadurch die Chancen einer erfolgreichen Rechtsverteidigung gegen Insolvenzanfechtungsansprüche nicht unerheblich verbessert.

[Freitag, 7. Juni 2024]